Visa-Stopp für russische Touristen

Kollektivstrafe oder Konsequenz?
Der Ruf, keine EU-Visa mehr für russische Urlauber*innen auszustellen, wurde in der Woche vom achten August das erste Mal aus Finnland und Schweden laut. Einige Tage später haben sich bereits sieben EU-Staaten an der Ostflanke dem Vorschlag angeschlossen. Einige Länder wie etwa Estland haben die Visa-Vergabe an Russ*innen bereits ausgesetzt und planen weitere Einschränkungen der Einreisebedingungen.
Der Kanzler zu Besuch im Norden
Bei einem Besuch der nordischen Länder äußert sich Bundeskanzler Olaf Scholz skeptisch gegenüber einem möglichen Visa-Stopp: “Es ist nicht der Krieg des russischen Volks, es ist Putins Krieg”.
Ein generelles Einreiseverbot für Russ*innen hält der Kanzler nicht für gerechtfertigt. So dürfe man beispielsweise vom Moskauer Regime Verfolgten die Flucht aus der russischen Diktatur nicht zusätzlich erschweren.
Staaten wie Finnland oder Schweden empfangen viele russische Besucher*innen und hatten deshalb als erste die Aussetzung der Visa-Vergabe gefordert. Die finnische Ministerpräsidentin Marin betonte, dass russische Bürger*innen den Krieg gegen die Ukraine zwar nicht gestartet hätten, ihn jedoch unterstützen würden. Sie fände es nicht angebracht, dass russische Urlauber*innen in Europa Sightseeing betreiben würden, während das russische Regime in der Ukraine Menschen töte.
Europas Presse uneins
Einige europäische Medien sehen in einem Einreiseverbot für russische Tourist*innen vielmehr eine Art Kollektivstrafe, als eine politisch wirksame Maßnahme: Zunächst entstehe damit der Eindruck, alle Russ*innen würden – ungeachtet ihrer politischen Gesinnung – Mitschuld am Krieg gegen die Ukraine tragen, unter Generalverdacht gestellt.
Des Weiteren würde ein solches von der EU ausgesprochenes Verbot lediglich russische Staatspropaganda unterfüttern, wonach Russ*innen aus europäischer Sicht als Menschen zweiter Klasse gelten würden, eine Abspaltung vom Westen naheliegend erscheine.
Journalist*innen argumentieren, der russischen Bevölkerung würde eine entscheidende Möglichkeit genommen werden, außerhalb der Heimat mit kritischen Stimmen gegenüber Putins Regime konfrontiert zu werden. Auch Student*innen, Kulturschaffenden oder Wissenschaftler*innen würde die Gelegenheit geraubt, sich mit Europäer*innen zu vernetzen und das Tun der eigenen Regierung zu hinterfragen.
Auf der anderen Seite unterstützen verschiedene Print-und Digitalmedien in Europa die vorgeschlagene Maßnahme, welche als logische Konsequenz der russischen Aggressionen erfolge. Befürworter*innen eines Einreise-Stopps betonen zum einen die moralische Komponente des Konflikts, in welchem badende Urlauber*innen an Europas Stränden die Gräueltaten der heimatlichen Regierung wissentlich ignorierten. Russischen Bürger*innen das Reiseprivileg zu streichen käme in keiner Weise den Menschenrechtsverletzungen durch russische Truppen im Ukraine-Krieg gleich.
Zum anderen könne die Verweigerung von Visa für russische Tourist*innen in der gehobenen Bevölkerungsschicht gegebenenfalls ein Umdenken veranlassen: Ein Visa-Stopp bilde das letzte Glied am Ende einer Kette bereits beschlossener Sanktionen, die bisher vor allem russische Oligarchen und Wirtschaftsgrößen trafen. Russlands gehobene Gesellschaft, welche der Krieg gegen die Ukraine mangels spürbarer Auswirkungen auf das eigene Leben bisher kaum interessiert habe, würde nun spürbare Einschränkungen erfahren. Diese könnten wohlhabende Russ*innen dazu veranlassen, Putin den Rücken zuzuwenden.
Endgültige Entscheidung steht noch aus
Bislang sind bereits Personen aus der politischen und wirtschaftlichen Führung Russlands mit Reise-Sanktionen belegt. Noch im August sollen die EU-Außenminister*innen über einen möglichen totalen Visa-Stopp beraten.
Emily Sara Adams, zur Zeit Europa Zentrum Baden-Württemberg
Foto: Europarat