Energetisch am Ende: Wenn Rekordtemperaturen einen Kontinent lahmlegen.

Stuttgart im August um die Mittagszeit:
Vor dem Europahaus hängt die Flagge vom Mast. Die Sonne spiegelt sich auf Autoscheiben- und Dächern, blendet und zwingt zum Wegschauen. Wer durch die Straßen geht, drückt sich im Schatten an den Schaufenstern entlang. Die Stadt läuft im Energiesparmodus.
Unangenehm oder unerträglich
Während das Stadtleben – ob in Stuttgart, Paris oder Rom – bei Hitze äußerst unangenehm werden kann, zeigen sich die anhaltenden Höchsttemperaturen in vielen ländlicheren Regionen unerträglich – nämlich brandgefährlich. In Spanien, Portugal, Griechenland und Südfrankreich wüten seit Wochen Waldbrände und auch in Brandenburg lodern die Flammen.
Während wir Europäer*innen uns jahrzehntelang verhältnismäßig sicher wägten, ereilen uns immer mehr Extremwetter-Ereignisse. Statt mitleidig über den Globus zu blicken, wenn ein Tropensturm in den Vereinigten Staaten wütete oder ein Erdbeben Ostasien erschütterte, müssen wir nur mehr vor die eigene Haustür treten, um die Auswirkungen des Klimawandels wahrzunehmen. Jeder Sommer heißer, als der vorherige, jedes Jahr weniger Schneefall. Brände, Fluten, Unwetter erreichen uns in immer kürzeren Abständen und versetzen uns in den Dauer-Ausnahmezustand: Unser Kontinent wird lahmgelegt.
Angstschweiß und Anpassungen
Angesichts der aktuellen Hitzewelle, die ganz Europa zu schaffen macht und uns buchstäblich den Schweiß auf die Stirn treibt, scheint der für Herbst- und Winter beschworene Heiznotstand weit weg. Dabei hängen Extremwetter und Energiekrise miteinander zusammen:
Wenn die Folgen von Klimawandel und Krieg aufeinandertreffen, schmilzt uns der Sommer dahin und jagt uns die kalte Jahreszeit Schauer über den Rücken. Das Auf- und Ab der internationalen wirtschaftlichen Beziehungen erfährt durch Hitzewellen, Stürme und Überschwemmungen keine Ruhephasen. In Zeiten von Wetterextremen gewinnen stabile Energieerzeugungs-Methoden und verlässliche Handelspartner zunehmend an Bedeutung.
Dass etwa Frankreich im Moment beachtliche Mengen Strom aus dem Ausland importiert, da seine Atomreaktoren durch Wartungsarbeiten oder für die Kühler zu hohe Temperaturen ausfallen, verdeutlicht einmal mehr, dass uns in vielen Bereichen adäquates Wissen und entsprechende Technologie fehlen, um auf die schon spürbaren Konsequenzen des Klimawandels zu reagieren.
Nicht nur werden wirtschaftliche und politische Bündnissen durcheinandergewirbelt, auch den klimatischen Verhältnisse in Europa fehlt es an Beständigkeit. Bloß eines ist sicher: Wenn Europa und der Rest der Welt es nicht schaffen, ihre Ziele zur Emissions-Reduktion vollständig in die Tat umzusetzen, können wir uns auf Extremwetter in bisher unbekanntem Ausmaß gefasst machen.
Auf der einen Seite stehen die Klimaziele der EU, auf der anderen die notwendigen Anpassungen an Wetterlagen, die uns bereits jetzt unsere Grenzen aufzeigen.
Da wären beispielsweise die Wassersparmaßnahmen, die die Kommunalregierung der italienischen Region rund um den Fluss Po ihren Bürgern auferlegt. Das Flussdelta drohe angesichts Dauer-Dürre zur Wüste zu werden, warnten Umweltexpert*innen, woraufhin Politiker*innen die Menschen in der Umgebung aufforderten, ihren Wasserverbrauch zu reduzieren.
Außerdem fordern EU-Gewerkschaften seit einiger Zeit eine grenzüberschreitende Verordnung für Arbeit bei großer Hitze. Spätestens, als Mitte Juli in Madrid drei Schichtarbeiter aufgrund von Kreislaufversagen bei Rekordtemperaturen starben, rückte das Thema in die Öffentlichkeit. Besonders Arbeitnehmer*innen in gering qualifizierten Bereichen bricht bei Hitze der Angstschweiß aus: Wer zum Beispiel in der verarbeitenden Industrie oder im Straßenbau arbeitet, steht an vorderster Front der Klimakrise und ist Tag für Tag den Gefahren durch extreme Temperaturen ausgesetzt.
Menschen mit geringem Einkommen sind nicht nur überproportional von Energiearmut betroffen und blicken dem Winter angstvoll entgegen – sie leiden gleichzeitig am stärksten unter Extremwetterereignissen, da ihnen finanzielle, materielle und zeitliche Ressourcen fehlen, sich etwa vor übermäßiger Hitze zu schützen. Die Folgen des Klimawandels treffen nicht alle gleich hart.
Die Rekordtemperaturen, die Europa in den letzten Jahren ins Schwitzen gebracht haben, bergen eine soziale Sprengkraft, die durchaus mit der einer Wirtschaftskrise zu vergleichen ist – beziehungsweise eine Wirtschaftskrise mit sich bringen könnte, wenn essentielle Wirtschaftszweige sich nicht an die neue Wetterfront anpassen.
Das neue Normal.
Ob es die EU auf lange Sicht schafft, die Auswirkungen des Klimawandels zu bremsen – schon heute müssen wir Lösungen finden, um mit ihnen umzugehen. Auch wenn Hitze und Trockenheit in weiten Gebieten Europas längst keine Ausnahme mehr darstellen, haben wir uns auf diese neue Normalität noch nicht eingestellt. In vielen Sektoren fehlt es an Wissen und Innovation, um den akuten Veränderungen zu begegnen.
Hierbei kommt es einmal mehr auf die europäische Zusammenarbeit an: Sei es, was das Energiesparen, die Energiegewinnung oder den Umgang mit extremer Hitze angeht – die EU-Mitgliedsstaaten müssen koordiniert und geschlossen agieren, miteinander sprechen und voneinander lernen.
Wenngleich Anstrengungen zur Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad keinesfalls unter den Tisch fallen sollten – an noch extremeres Wetter dürfen wir uns nicht gewöhnen – so befinden sich unter den 27 EU-Ländern doch einige „Hitzköpfe“, die nicht erst seit gestern mit Höchsttemperaturen zu tun haben. An dieser Stelle gilt es, sie mit aller Kraft zu unterstützen, Brandherde auszumerzen und gleichzeitig von ihrer Expertise für Extremwetter zu profitieren.
Die Meinung von Emily Adams, z.Zt. Europa Zentrum Baden-Württemberg
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